Emotionen sind keine Fakten und Gefühle dürfen nicht an die Stelle von Argumenten treten

Ich helfe – soweit ich es kann – meinen Klienten jeden Tag dabei, ihre Gefühle wahrzunehmen und angemessen auszudrücken.

Dabei besteht eine Leistung meiner Arbeit darin, zu vermitteln, dass Gefühle in erster Linie unser subjektives Empfinden und die Reaktion auf etwas Erlebtes oder Wahrgenommenes sind. Sie sind keine Fakten, ersetzen keine Argumente und dürfen auch nicht an die Stelle der Wahrheit rücken. Das zu verstehen und zu akzeptieren, ist ein unerlässlicher Schritt in jeder Therapie.

Ein zweiter und ebenso unerlässlicher Schritt ist, zu akzeptieren, dass Menschen etwas Erlebtes oder Wahrgenommenes sehr unterschiedlich deuten können – so auch unser Partner. Wir brauchen also ein wahrgenommenes „Ich“ und ein akzeptiertes „Du“, damit ein gutes „Wir“ in Form einer guten Beziehung entstehen kann.

Viele Beziehungsprobleme entstehen dadurch, dass Paare in immer wiederkehrenden Diskussionen versuchen, ihre Gefühle selbst zum Argument zu machen. Damit schleifen sie den Wahrheitsbegriff ab.

Besonders gut hat der Schweizer Autor und Performance-Poet Jürg Halter diesen logischen Fehlschluss kürzlich auf den Punkt gebracht. Er schrieb: „Wer behauptet, dass die Erde rund sei, der verletzt meine Gefühle.“ Und er setzte auch noch ein Post Scriptum dahinter: „Wer behauptet, dass dieses Statement falsch oder richtig sei, der verletzt ebenso meine Gefühle.“

Ich finde, diese beiden Sätze verdeutlichen, dass Emotionen eben keine Fakten sind. Und mehr noch: Sie sind oftmals sogar völlig losgelöst von Fakten. Gefühle haben etwas mit unseren Erfahrungen, Ansichten oder Erlebnissen zu tun.

Ich  freue mich sehr darüber, dass sich Paartherapie und auch Psychotherapie langsam auf breiter Front in der Gesellschaft durchsetzen. Aber das darf nicht damit einhergehen, dass immer mehr Menschen ihre Gefühle zum „Maß aller Dinge“ erklären. Wissenschaftlich fundierte Paar- und Psychotherapie unterscheidet deswegen immer sehr streng zwischen der subjektiven Reaktion auf etwas und der objektiven Beurteilung dazu. Aber wenn es uns mit therapeutischer Hilfe gelingt, unsere eigenen Gefühle und die unseres Partners besser kennenzulernen, dann können wir die Welt zwar noch nicht erklären, aber sie trotzdem ein wenig besser machen. Einfach, weil wir einander besser verstehen.

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