Lieben oder lieben lassen?

Lieben oder geliebt werden; das sind zwei unterschiedliche gedankliche Laufrichtungen. Für die meisten Menschen beginnen die Probleme in der Liebe damit, dass sie geliebt werden wollen und nicht etwa damit, dass sie lieben wollen. Diese Beobachtung hat Erich Fromm in seinem bekanntesten Werk „Die Kunst des Liebens“ beschrieben hat und sie geht auch mit meiner Erfahrung als Familien- und Paartherapeutin einher. Wir sind oftmals in gefährlicher Weise darauf fixiert, Liebe zu empfangen. Darauf, zu lieben, fokussieren wir uns erst dann, wenn wir Schiffbruch erlitten und unser Verhalten in Beziehungen gründlich reflektiert haben.  

Warum wollen wir lieber geliebt werden, statt zu lieben?

Psychologisch betrachtet liegt der Fall ganz einfach: Unsere allerersten Beziehungs- und Liebeserfahrungen machen wir zu einer Zeit, in der wir nur Liebe empfangen können. Als Baby oder Kleinkind erleben wir (wenn alles gut läuft), dass unsere Eltern sich um uns kümmern, für uns da sind, all unsere Bedürfnisse und Wünsche erahnen, wahrnehmen und diese ausnahmslos befriedigen. Eltern sind aufrichtig am Wohlergehen ihrer Kinder interessiert, sie trösten sie, sind zärtlich mit ihnen und sie tun das alles, ohne je eine Gegenleistung oder gar eine Gegenliebe zu erwarten. Quasi bedingungslos.  Mit dieser Erfahrung lernen wir – unbewusst und ohne jede böse Absicht -, dass stets jemand für uns da ist, der seine eigenen Bedürfnisse hintenanstellt, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen.

Wenn aus Erfahrungen Erwartungen werden

Diese frühkindliche Erfahrung prägt uns und wird unbewusst zur Erwartung für alle weiteren Beziehungen. So soll Liebe sein und sich anfühlen! Wir nehmen diese Vorstellung von Liebe mit in unser Erwachsenenleben und hoffen darauf, dass sich diese alte Erfahrung mit einem anderen Menschen wiederholt. Insgeheim träumen wir dann davon, dass in Beziehungen all unsere Bedürfnisse und Wünsche aufmerksam wahrgenommen und erfüllt werden, dass meine Partnerin oder mein Partner eigene Bedürfnisse zurückgestellt und mich ganz und gar selbstlos liebt. Das ist natürlich unrealistisch und „kindlich“. Es hat wenig mit der erwachsenen Liebe zu tun.

Die Beziehung zwischen Erwachsenen ist nicht einseitig, sondern zweiseitig

Mit zunehmenden Jahren lernen wir (wenn alles gut läuft), dass sich diese besondere Art von Liebe vermutlich nicht wiederholt. Erst in der Pubertät, später dann als Erwachsene erfahren wir meist schmerzhaft, wie unrealistisch unsere Erwartungen sind. Wir versuchen zu wiederholen bzw. uns „wieder-zu-holen“, was wir als Babys und Kinder so angenehm erfahren haben. Und oft sind wir enttäuscht vom anderen, der unsere Bedürfnisse weder erahnen noch erfüllen kann oder will. Für dieses Unglück machen wir ihn dann obendrein auch gerne noch verantwortlich. Dann kommen manchmal Vorwürfe, Frust und Wut über die Egozentrik des anderen auf. Früher oder später erkennen die meisten, wie überhöht diese Erwartungen sind. Die kindliche Sehnsucht und Bedürftigkeit nach „Geliebt-werden“ überfordert und belastet Partnerschaften. Besser ist es für die Paarbeziehung, wenn beide sich bemühen, die Liebe zu geben, die sie sich selber wünschen. Und hier darf nun ruhig der Vergleich mit einer liebenden Mutter oder einem liebenden Vater herhalten. Jede Partnerschaft profitiert davon, wenn wir unsere Liebe möglichst bedingungslos verschenken – nicht immer, aber so oft wie möglich.

Zur Vertiefung

  • Wer es philosophisch mag, kann sich im Klassiker von Erich Fromm „Die Kunst des Liebens“ aus dem Jahr 1956 verlieren.
  • Moderner kommt der Psychotherapeut und Mediziner Michael Lukas Möller in seinen zahlreichen Büchern über Paarbeziehungen, Kommunikation und Sexualität daher. Möller wurde noch zu Lebzeiten mit dem Preis für die Wissenschaft von der Liebe ausgezeichnet und hat es dennoch geschafft, sehr schön lesbare Bücher für Paare zu verfassen. Hier eine kleine Auswahl:
    • Die Liebe ist das Kind der Freiheit. (1986)
    • Die Wahrheit beginnt zu zweit. (2002)
    • Worte der Liebe. Erotische Zwiegespräche. Ein Elixier für Paare. (1996)
    • Gelegenheit macht Liebe. Glücksbedingungen in der Partnerschaft. (2000)
    • Wie die Liebe anfängt. Die ersten drei Minuten. (2004)

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