Blogbeitrag zum Thema Kinder

Ist das Kind jetzt trotzig oder wird es autonom?

Tobsuchtsanfälle sind wichtig, zumindest für die Kinder

Wie schafft ein laufender Meter von zweieinhalb Jahren es, uns innerhalb weniger Sekunden an den Rand des Wahnsinns zu treiben, nur weil wir ihm eigentlich einen kleinen Gefallen tun wollen? Immer wieder ist zu hören, dass Kleinkinder aus heiterem Himmel regelrechte Tobsuchtsanfälle bekommen. Nur ein Beispiel: Das Kind möchte eine Banane essen und die Mutter schält diese, um es ihm leichter zu machen. Das Kleine hätte die Banane aber lieber selber geschält und dreht nun voll auf. Die Reaktion, die dann folgt, wirkt auf uns Erwachsene ziemlich eindrucksvoll. Das Kind schreit und tobt, schmeißt sich auf den Boden, schlägt mit dem Kopf auf die Fliesen, läuft rot an, zittert, schwitzt, atmet flach usw. Am Ende will es gar keine Banane mehr – weder geschält noch ungeschält.

Einen Erwachsenen würden wir in so einer Situation vermutlich sofort in die nächste Notaufnahme bringen. Für Kleinkinder im Altern von ca. 18 – 40 Monaten ist dieses Verhalten biologisch, psychologisch und sozial betrachtet eher normal; eine Phase im Reifungsprozess.

Kleinkinder ab ca. 1,5 Jahren werden körperlich mobiler und unabhängiger von ihren Eltern. Sie möchten ihre Welt erkunden (Explorationsverhalten), eigene Entscheidungen fällen (Selbstwirksamkeitserfahrung) und selbständiger werden (Autonomiebestreben). Das, was wir umgangssprachlich leider als Trotzphase bezeichnen, ist im Grunde die wichtige Autonomieentwicklung mit ihren ambivalenten Gefühlen von Abhängigkeit und Autonomie, verbunden mit heftigen Wutanfällen, Unsicherheit und Trennungsangst. Das Ganze erreicht mit ca. drei Jahren seinen Höhepunkt. In dieser Zeit ist nicht nur das Kind gefordert, die Eltern sind es auch.

Was für Eltern stressig ist, ist für die Eltern-Kind-Beziehung ein Qualitätsmerkmal

Das Gute an dieser anstrengenden Phase ist, dass Kinder ihre Gefühle am offensten zeigen können, wenn sie sich sicher gebunden fühlen. Ein ordentlicher Wutanfall ist also ein Qualitätsmerkmal für die Beziehung zum Kind. Für die betroffene Bindungsperson ist es allerdings eher stressig, weswegen viele auch zu typischen Stressreaktionen neigen. Wenn es aber gelingt, mit Verständnis und Empathie, mit Kreativität, Geduld und ein wenig Humor die kindlichen Gefühlsäußerungen auszuhalten und zu regulieren, dann lernt das Kleine auch genau das: die eigenen Gefühle aushalten und regulieren.

Entsprechend der Erfahrungen, die das Kind in dieser Phase macht, kennt es sich später auch mehr oder weniger gut in seiner Gefühlswelt aus. Es kann seine Gefühle zuordnen und sie zunehmend selbst bestimmen. Im Laufe der Jahre wird es sich dann auch immer besser in andere Menschen und deren Gefühlswelt hineinversetzen können, denn in der Autonomiephase wird der Grundstein gelegt für späteres Selbstbewusstsein, Empathie und Sozialkompetenz.

Werden die entwicklungsbedingten Bedürfnisse nach liebevoller Zuwendung und Gefühlsregulation nicht gesehen und erfüllt, versuchen die meisten Kinder alleine klarzukommen. Wenn die Bezugsperson nicht verfügbar oder nicht ausreichend vertraut ist, sucht das Kind weniger Nähe und Unterstützung bei ihr. Dann bekommt es schnell den Anschein, dass es früh Alltagsfertigkeiten erlernt, z. B. selbständig essen und sich alleine beschäftigen. Das darf aber nicht verwechselt werden mit tatsächlicher Selbständigkeit. Psychisch und sozial heißt das eher für ein Kind, dass es sich nicht ausreichend wahrgenommen und angenommen fühlt.

Um in solch wilden Momenten mit Kindern – und ganz besonders mit uns selber! – liebevoll und empathisch zu bleiben, braucht es manchmal eine Außenperspektive. Jemand, der erkennt, dass es hier nicht um die Banane geht und der wertschätzend spiegelt und der erklärt, wie die Situation für alle unfallfrei gestaltet werden kann. So kommt der laufende Meter nicht nur unversehrt aus seinen eigenen Tobsuchtsanfällen heraus, sondern insgesamt auch gestärkt durch die Autonomiephase.

Zur Vertiefung

  • Wer sich als Elternteil selber beruhigen möchte (und keine Abneigung gegen Bestseller hegt), kann das bspw. mit diesem Buch erreichen: „Das gewünschteste Wunschkind aller Zeiten treibt mich in den Wahnsinn: Der entspannte Weg durch Trotzphasen“ (2016) von Danielle Graf und Katja Seide
  • Denjenigen, die eine alltagspraktische Hilfe suchen, hilft das Internet-Angebot www.elternonlinetraining.de.
  • Die wissenschaftlich interessierte Leserschaft kann sich in den zahlreichen Büchern der Heidelberger Entwicklungspsychologin Prof. Dr. Sabina Pauen umschauen.

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